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Um die Geschehnisse um die russische Metal-Legende etwas zu rekapitulieren kontaktierte der Schreiberling Verantwortliche aus dem Umfeld der Band, die den Kontakt zu Vladimir Kholstinin, dem einzigen Musiker ARIAs, der seit 1985 ununterbrochen Teil der Gruppe ist, herstellten. Dabei mussten wohl oder übel Umwege in Kauf genommen werden, wurden die Interviewfragen doch ursprünglich auf Englisch verfasst, das die Kontaktpersonen zur Band zunächst ins Russische übersetzten, um sie dem Gitarristen vorzulegen. Die besagten Verantwortlichen für die Promo-Arbeit ARIAs transferierten die Antworten sodann auch wieder zurück ins Englische, während der Verfasser die schlussendliche Übersetzung ins Deutsche für die Endfassung des Interviews vornahm. Vermutlich war es diesen Umständen geschuldet, dass Kholstinins Antworten zuweilen ziemlich kurz und knapp ausgefallen sind. Dennoch ist es etwas Besonderes, eine Rückblende mit einem Vertreter der größten russischen Metalbands überhaupt zu unternehmen, und informativ waren Vladimirs Äußerungen auf jeden Fall!

Insofern, stürzen wir uns ins Vergnügen: Schließen wir zunächst bei der Einleitung an und kommen wir zuallererst auf den Auftritt ARIAs beim diesjährigen Keep It True zu sprechen. „Hi, mir geht’s gut!“, meldet sich Kholstinin gutgelaunt aus dem sommerlichen Moskau. „Das besagte Festival ist einfach wundervoll, da hatten sich viele Gleichgesinnte getroffen!“ Nach solch einem umjubelten Gig können die Russen natürlich gar nicht anders als möglichst bald wieder nach Deutschland zurückzukehren. „Genau, wir spielen als nächstes am 8. und am 10. Oktober in Köln und Berlin!”

Beschäftigen wir uns sogleich mal mit einer weniger erfreulichen Tatsache: Trotz erstklassiger Musik haben ARIA in der westlichen Welt nie so richtig Fuß fassen können. Vladimir & Co. waren Helden in ihrer Heimat, in Deutschland beispielsweise war die Gruppe anfangs jedoch nur eingefleischten Insidern bekannt. Erst im Laufe der Jahrzehnte wuchs der Kultfaktor der russischen Metal-Legende auch im Westen stetig. Mainstream-Medien ignorieren die Band jedoch nach wie vor, was ein ziemliches Armutszeugnis darstellt. „Ich schätze, dass russische Texte sie einfach nicht interessieren!“ Lizenzverträge mit größeren europäischen oder nordamerikanischen Plattenfirmen, um ARIAs Musik auch im Rest der Welt anständig zu promoten, wären eine Maßnahme, die auch für Vladimir verlockend klingt. „Derartige Angebote würden wir definitiv freudig annehmen!“

Wagen wir nun eine Zeitreise zurück bis ins Jahr 1970, als die erst 15 Jahre später ins Leben gerufenen ARIA noch gar nicht existierten. Damals kam der junge Vladimir Kholstinin mit Rockmusik in Berührung. „Als ich zwölf war, hörte ich Ritchie Blackmore zum allerersten Mal in meinem Leben und umgehend stand mein zukünftiger Beruf fest!“ Vor ARIA war der Gitarrist in den Bands Волшебные Сумерки und Альфа zugange. Von beiden Gruppen ist dabei relativ wenig bekannt, Original-Tonträger aus der Zeit sind in der westlichen Welt ziemlich schwer zu kriegen. „Mit Alpha nahm ich zwei Alben auf, wobei wir auf dem ersten Rock und auf dem zweiten Hardrock spielten.“

Kurz nachdem ARIA 1985 ins Leben gerufen worden waren, hatten sie auch gleich die legendäre Debütscheibe „Мания величия“ am Start, die heutzutage von vielen Maniacs als Klassiker abgefeiert wird. Bereits damals schon verhinderten die äußeren Umstände einen kommerziellen Siegeszug der Russen. „Leider war Melodia damals die einzige Plattenfirma in der UdSSR und sie waren nicht gerade begeistert von ARIAs ersten beiden Longplayern, weswegen die damals nur auf Kassette herausgebracht wurden.“

Gleich von Beginn an war dabei offensichtlich, dass sich die Russen von einer bestimmten westlichen Metal-Band ganz besonders inspirieren ließen: Iron Maiden. Wenngleich ARIA mit ihrer ureigenen Note und den russischen Texten sehr schnell eine eigene Ausdrucksweise fanden, haben doch Steve Harris & Co. zweifelsohne ihre Spuren im Sound hinterlassen. „Sicherlich mögen wir Iron Maiden, aber uns beeinflussten ebenfalls Judas Priest und diverse andere Metal-Bands aus den 1970er Jahren!“ Tonträger westlicher Bands von westlichen Plattenfirmen dürften in der Welt hinter dem Eisernen Vorhang relativ schwer zu beschaffen gewesen sein. Aber auch umgekehrt trennten damals in den 80ern Mauer und Stacheldraht den Ost-Markt von eingefleischten West-Fanatikern. Selbst einige Zeit später Ende der 90er Jahre, als der Verfasser dieser Zeilen osteuropäischen Kultformationen nachspürte, war es zumindest in Deutschland keineswegs einfach, Musik aus der ehemaligen Sowjetunion habhaft zu werden. Zur Jahrtausendwende war auch noch fleißig Tapetrading angesagt, und da tat sich neben einigen anderen Zeitgenossen insbesondere ein schwedischer Underground-Musiker hervor, der ultrarare Aufnahmen von Legenden wie Pokolgep, Korrozia Metalla, Ossian, Stress, Turbo, Kat oder eben ARIA besaß und diese dem Schreiberling auf Kassette überspielte. Passenderweise hatte der Skandinavier in der Schule einst Russisch gelernt, weswegen es ihm ein Leichtes war, Album- und Songtitel in Kyrillisch aufzuschreiben. Doch zurück zur Ausgangsproblematik, sprich wie russische Metalheads damals zu Zeiten des Eisernen Vorhangs an Alben aus dem Ausland kamen? „Einige Leute, die ins Ausland reisen konnten, verkauften Scheiben aus dem Westen auf unserem Schwarzmarkt.“

Das dritte ARIA-Album „Герой асфальта“ aus dem Jahr 1987 war der erste Longplayer, der umgehend im LP-Format veröffentlicht wurde und mauserte sich zum bis dato bestverkauften Tonträger der Russen. „Genau, da hast Du recht. Die gesamte Band erhielt als Gegenleistung dafür 600 Rubel, von denen wir uns sechs Kisten Wodka kaufen konnten! „Герой асфальта“ ging rund eine Million Mal über den Ladentisch, aber es war nahezu unmöglich, eine Scheibe zu erstehen, da sie ja sofort ausverkauft war!“ Pro Monat schafften es ARIA in den 80ern zu Sowjetzeiten auf durchschnittlich etwa 20 Konzerte in der UdSSR, darüber hinaus bot sich den Russen gar die Möglichkeit, in Ländern wie Bulgarien oder gar Deutschland aufzutreten. Da ja bekanntlich auch die Rockmusik im real existierenden Sozialismus unter staatlicher Aufsicht stand, gibt es insbesondere aus der ehemaligen DDR einige Fälle, in denen Musiker unter der Fuchtel von Parteifunktionären leiden mussten. Druck von Seiten der Obrigkeit scheint es gegeben zu haben, allerdings geht Vladimir diesbezüglich nicht allzu sehr ins Detail. „Wir hatten solch ein Erlebnis, da die Regierung Musik, Texte und sogar das Outfit von Musikern oder die Bühnenaufbauten kontrollierte.“

1989/1990 fiel dann der Eiserne Vorhang und auch ARIA waren angesichts der Feierlichkeiten wie im Rausch: „Ich war sehr glücklich darüber, dass dieser Wettstreit der Großmächte endlich vorüber war! Wir fanden es auch extrem toll, dass wir auf ein Festival in Ostberlin eingeladen wurden, welches ganz im Zeichen des Falls der Berliner Mauer stand. Dort waren viele Musiker und unzählige Zuschauer zugegen, totale Begeisterung stellte sich ein und insgesamt fühlte sich das irgendwie an wie Ferien!“

Anno 2002 bestritten ARIA laut Recherche des Schreiberlings sogenannte „Farewell-Shows“, bei denen allerdings nicht die Band an sich zu Grabe getragen wurde. „Nein, diese Konzerte waren für jene Musiker, die die Gruppe damals verlassen wollten. Speziell diese Besetzungswechsel waren sicherlich bittere Rückschläge für ARIA, aber das war ja nicht das erste Mal für diese Combo…“ Trotzdem dachte Vladimir nie ans Aufhören: „Nein, das kam mir wirklich nie in den Sinn! Ich hatte schon immer kaum Zeit und immer noch gibt´s so viele Dinge, die ich unbedingt noch machen muss!“

Als unumstrittenen Alleinherrscher bei ARIA sieht sich das einzig verbliebene Gründungsmitglied der Formation allerdings keineswegs. „Sicherlich nicht! Schon von Beginn an war es so, dass jeder in der Band Musik schrieb, das hat sich seitdem nicht verändert! Alle Hauptentscheidungen hängen von der Stimmmehrheit innerhalb der Gruppe ab.“ Fans des „German Tanks“ Udo Dirkschneider dürften Vladimir indes auch von der Live-Aufnahme „Nailed To Metal – The Complete History“ her kennen, tritt der Gitarrist dort doch bei einem Song in Erscheinung. Des Weiteren lieh „uns Udo“ einst einem ARIA-Song seine unverkennbare Stimme. Im Laufe der Jahre hat sich da eine gewisse Freundschaft entwickelt. „Wir tourten vor einigen Jahren zusammen mit U.D.O. und Rage in Russland, das war eine wahrhaft ausgezeichnete Zeit, total lustig und mit vielen positiven Gefühlen! Wir tauschten gegenseitig unsere Erfahrungen aus. Ich sollte uns vielleicht nicht vergleichen, aber ich denke, dass Udo und ich uns sehr ähnlich sind.“

Eines der Hobbys Vladimirs außerhalb von ARIA ist das Sammeln von Gitarren. Seine hauseigene Kollektion dürfte mittlerweile ziemlich beeindruckend sein. „Ich besitze etwa 100 Gitarren. Einige von ihnen spielte ich im Laufe meiner Karriere, andere sind rare Sammelstücke, die ziemlich viel wert sind. Damals in den Jahren der Sowjet-Repressionen war es unmöglich, amerikanische oder japanische Gitarren zu erstehen. Diese Instrumente konnten wir damals nur in Magazinen sehen!“

Werfen wir abschließend noch einen Blick in die Zukunft ARIAs. Vladimir versichert, dass sich die Band ihres eigenen Erbes bewusst ist und das was sie geschaffen hat in Ehren halten wird. „Stilistisch werden wir uns wohl nicht mehr großartig verändern. Wir sind unserem Stil immer treu geblieben und werden einfach das fortführen was wir vor 35 Jahren angefangen haben!“ Zeit für die berühmt-berüchtigten letzten Worte. „Deutschland war 1988 das erste Land außerhalb der Sowjetunion, das wir besuchten. Seitdem spielten wir bei euch bereits viele Male und wir fühlen, dass man unsere Musik dort schätzt, dass man ihr gegenüber eine warme und umsichtige Einstellung an den Tag legt. Ich liebe Deutschland sehr und hoffe, dass wir uns noch oft wiedersehen werden!“

www.aria.ru

Foto: www.facebook.com/AriaRussiaOfficial/Ivan Kobyakov

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