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Um über das Erbe von ATOMIC ROOSTER, einem der düstersten Vertreter des harten 70er-Rock heutzutage Näheres in Erfahrung zu bringen, ist der direkte Draht seit 1989 mit dem viel zu frühen Ableben von Organist und Bandkopf Vincent Crane leider für immer versiegt. Man muss sich also um damalige Mitmusiker des exzentrischen Meisters bemühen. Einer davon hört auf den Namen Steve “Boltz” Bolton, der Gitarrist, Sänger und Songwriter in Personalunion ist. Dessen Karriere kann jedoch nicht ausschließlich auf ATOMIC ROOSTER begrenzt werden. Die Liste der Künstler, mit denen der gebürtig aus Manchester stammende Herr im Laufe der Jahrzehnte zusammenarbeiten konnte, liest sich wie ein „Who is who“ der englischen Rockmusik. Apropos THE WHO, da war ja auch noch was… Aber lest selbst!

Steve übermittelte dem Schreiberling vor dem Interview mitsamt seiner Telefonnummer die Vorwahl +447. Ohne viel nachzudenken, wählte der Autor dieser Zeilen besagte Nummer, nur um eine (nicht existente) Verbindung im fernen Kasachstan zu erreichen. Nach einem erneuten Versuch mit der richtigen (britischen) Vorwahl war Steve jedoch am anderen Ende der Leitung. „Das ist ja eine komische Geschichte“, gibt sich Bolton erstaunt. Wie dem auch sei, nach einer kurzen Begrüßung geht Steve gleich in die Vollen und erklärt, wie er zum ersten Mal Bekanntschaft mit Rockmusik machte und was ihn dazu veranlasste, diesem Sound fortan sein Leben zu widmen. „Ich sah damals in den 60ern Hank Marvin And The Shadows im Fernsehen und Marvin spielte eine Fender Stratocaster. Das war ein magischer Moment für mich. Heute noch bin ich ein großer Hank Marvin-Fan, für mich ist der Kerl Gott! Und viele andere Musiker wie beispielsweise Jeff Beck oder Jimmy Page erhielten auch Zugang zu Rockmusik, als sie die Shadows hörten. Selbst wenn man sich heutzutage die Platten von damals anhört, sind die immer noch fantastisch, insbesondere die frühen Shadows-Sachen sind herausragend! Damit fing alles bei mir an. Von diesem Moment an begann ich, auch nach weiterer Rockmusik Ausschau zu halten. Eigentlich wollte ich immer Rhythmus- und nicht Leadgitarrist werden. In den 60ern spielte ich in Bands in Manchester, wo ich ursprünglich herkomme. Wir machten halt das Übliche und versuchten, professionelle Musiker zu werden, aber da lief dann so ziemlich viel schief. Dann beschlossen wir allerdings, dass wir im Musikgeschäft groß rauskommen wollten und zogen von Manchester nach London. Nach drei Monaten dort erhielt ich bereits den Job bei ATOMIC ROOSTER.”

Verweilen wir jedoch noch etwas in den 60er Jahren und bei Gruppen wie beispielsweise THE PUZZLE oder JIMMY POWELL AND THE FIVE DIMENSIONS, in denen Steve zugange war und die heutzutage nur wenigen Insidern ein Begriff sein dürften. Aufnahmen aus der damaligen Zeit gibt es nicht wirklich, wie der Gitarrist bestätigt. „In einer meiner damaligen Bands in Manchester hatten wir einen Manager, der etwas komisch drauf war. Er meinte, dass er zu einem Künstler namens Jimmy Powell Kontakt hatte. JIMMY POWELL AND THE FIVE DIMENSIONS kamen eigentlich aus Birmingham und waren schon ziemlich etabliert. In dieser Gruppe waren einige sehr gute Musiker am Start und sie erschufen diesen Hit 'My Boy Lollipop', was die erste Ska Pop-Aufnahme überhaupt darstellte. An der Mundharmonika fungierte damals ein gewisser Rod Stewart, der bei Jimmy Powell eine gewisse Zeit lang spielte. Dies war meine erste R´N´B-Band, mit denen ich kontinuierlich in Clubs auftreten konnte. Wenn ich heute zurückdenke, so dachten wir damals als wir Manchester hinter uns ließen, um in einer Band aus Birmingham zu spielen, dass dies unsere große Chance sei. Wir traten einige Male auf, waren zu der Zeit allerdings noch ziemlich jung und naiv. Und um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass wir recht gut waren. Das war also eine meiner Bands damals, es existieren noch so einige Aufnahmen davon. Wenn man heutzutage nach Jimmy Powell etwas sucht, findet man im Internet ein bisschen etwas über die Geschichte dieser Band und die Pubszene Birminghams. Ich schlief damals auf dem Boden unseres Proberaums. Dieser lag hinter einem Autohof und die Leute, die dort arbeiteten, kümmerten sich um uns, denn wir waren jung und hatten kein Geld. Sie versorgten uns mit gratis Toastbrot, gebackenen Bohnen und solchen Sachen. So war die Zeit damals mit Jimmy Powell. Wenn man jung ist, probiert man eben verschiedene Dinge aus und spielt in Bands, die sich wenig später wieder sang- und klanglos auflösen. Wir hatten damals allerdings auch eine Gruppe, die in Manchester ziemlich groß war und die THE PUZZLE hieß. Man findet darüber noch etwas im Internet, aber es existieren keinerlei Aufnahmen von ihnen. Das fing dann alles erst an als wir nach London kamen...”

Leadgitarren-Crashcurs

1972 ließ Steve Manchester hinter sich und zog in die englische Hauptstadt. Wenig später war bereits der Kontakt zu den Jungs von ATOMIC ROOSTER geknüpft. „Damals hatten wöchentlich erscheinende Musikzeitschriften wie “Enemy” oder “Melody Maker” auf ihren letzten Seiten ganz hinten im Heft noch Kleinanzeigen mit Job-Offerten wie “Sänger gesucht” oder “Schlagzeuger gesucht”. Sogar große Bands schalteten dort Anzeigen. Das hört sich heute natürlich lächerlich an. Vor kurzem erst hatte ich eine Veranstaltung im Rahmen meiner “An Evening With Steve Boltz”-Reihe, wo ich immer etwas über meine eigenen Erfahrungen im Musikbusiness plaudere. Ich kündigte das bei Facebook vorher an und ein Typ aus Norwegen/Dänemark oder so schickte mir eine Email mit jener Anzeige aus der damaligen Zeitschrift. Die hab ich jetzt also auch auf meinem Computer. Ich erinnere mich noch daran, dass ATOMIC ROOSTER zu jener Zeit mit 'Devil's Answer' auf Platz eins der UK-Charts rangierten. Und in der Kleinanzeige stand sinngemäß: ‚ATOMIC ROOSTER suchen schnellstmöglich einen Gitarristen für eine US-Tour.‘ Und da war sogar noch Vincent Cranes Telefonnummer vermerkt! So etwas könnte man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen...! Ich wählte also diese Telefonnummer. Die Band, mit der ich nach London gekommen war, hatte sich mittlerweile aufgelöst. Die Jungs gingen mit einem Freund von mir zurück nach Manchester und spielten weiterhin Musik, die sehr in den 60ern verwurzelt war. Ich wusste also nicht, was ich tun sollte. Ich war gerade mal 19 Jahre alt, aber sehr naive 19, nicht wie 19-Jährige heutzutage. Ich hatte damals einen Job als Gitarrist in einem Stripclub in Soho/Zentral-London und spielte dort mit einer spanischen Band zusammen, die kein Wort Englisch sprechen konnte. Wir traten direkt hinter den Striptease-Tänzerinnen auf. Um zwei Uhr nachts fingen wir an und zockten bis um circa sechs, sieben Uhr in der Früh, und das nahezu jede Nacht. Ich hatte das eine Woche lang gemacht und fand schnell heraus, dass sich damit schon ein bisschen Kohle verdienen ließ.

Aber zurück zum Ausgangspunkt: Ich erblickte also diese Kleinanzeige in diesem Magazin, ich kontaktierte die Band und traf mich mich mit Sänger Peter French, Schlagzeuger Rick Parnell und Organist Vincent Crane zu einer Audition. Ein Freund von mir aus Manchester namens James Litherland, der unter anderem in Gruppen wie Colosseum spielte, war Leadgitarrist. Damals in Manchester waren wir mal zusammen in einer Band. Ich meinte noch vor der Audition zu ihm, dass ich davor ziemlich Bammel hätte, weil ich nicht wirklich wüsste, wie man Leadgitarre spielt. James gab mir dann jedoch diesbezüglich einen dreitägigen Crash-Kurs. Ich ging also zur Audition und man meinte dort zu mir, dass mir die Jungs Bescheid geben würden, wie sie sich entscheiden würden. Eines Nachts wollte ich wieder zu erwähntem Stripclub gehen und der Kerl, mit dem ich mir damals eine Wohnung teilte, meinte zu mir, dass gerade ATOMIC ROOSTER angerufen hätten und wollten, dass ich noch mal bei ihnen vorbekommen sollte. Ich sagte jedoch, dass das gerade nicht ginge, weil ich doch zum Stripclub musste. Er antwortete jedoch, dass die Band unbedingt wollte, dass ich bei ihnen mal vorbeischaue. Also kehrte ich zu dem Ort zurück wo die Audition stattfand und sie meinten zu mir, dass ich den Job hätte. Damals war das Album “In Hearing Of...” mit Pete French am Gesang, John Du Cann an der Gitarre und Schlagzeuger Paul Hammond erst frisch draußen. Vincent Crane wollte allerdings John und Paul nicht mehr dabei haben, weswegen beide gehen mussten. Letzten Endes bestanden ATOMIC ROOSTER also nur noch aus Vincent und Pete French. Drummer Ric Parnell war schon mal ein paar Jahre davor für wenige Wochen Teil der Band. Ric schloss sich der Gruppe erneut an, allerdings brauchten sie noch einen Gitarristen. Und als ich quasi so um die Ecke kam, war's das, so einfach war das damals! Ich hatte allerdings lediglich einen klitzekleinen Fender-Amp, der eigentlich eher für eine Bassgitarre gedacht war. Bei den Proben mit ATOMIC ROOSTER drehte ich das Teil immer bis zum Anschlag auf, was im Proberaum okay war. Dann jedoch stand ein Konzert im Westen Englands an, irgendwo in Cornwall. Wir fuhren mit unserem ganzen Equipment per Zug zum Club. Und als wir dort ankamen, war diese relativ große Location schon ziemlich voll mit Leuten. Auf der Bühne befand sich ein riesiges P.A.-System sowie unzählige, enorm große Amps. Es gab zwei Akustikbass-Amps, sechs Marshall-Boxen sowie das größte Drumkit, das ich bis dato je in meinem Leben gesehen hatte. Und auf der anderen Seite der Bühne stand mein klitzekleiner Fender-Amp! Aber wir zogen den Auftritt durch, wenngleich ich rein gar nichts von dem gehört hatte, was ich spielte, haha! Jeder um mich herum meinte danach, dass die Show fantastisch war. Letzten Endes war ich aber nicht so wirklich zufrieden mit dem Gig, haha!

Als wir dann nach Amerika flogen, kaufte ich mir über ATOMIC ROOSTER zwei Marshall-Stacks. Die USA waren anno 1971 noch fast genauso wie in den 60er Jahren: Man spielte ein Konzert und während des Auftritts schmissen die Leute Gras auf die Bühne, es gab unzählige Mädels, die (nicht nur) auf die Musik abfuhren usw.: Du weißt schon, das volle Programm also! So etwas war mir komplett neu! Ich hatte damals noch nicht mal wirklich Bier getrunken, geschweige denn einen Joint geraucht. Ich war vollkommen naiv. Aber nach diesen zwei Tourneen mit ATOMIC ROOSTER kannte ich wirklich alles, hehe! Pete French wurde zu der Zeit dann von einer Band namens Cactus abgeworben, das war damals die neue Gruppe von den Jungs von Vanilla Fudge.”

Verrückt und unrealistisch

Wie bereits kurz erwähnt, waren ATOMIC ROOSTER zu der Zeit als Steve zur Band stieß, bereits ziemlich etabliert. Fans wie Presse hatten die ersten drei Alben ziemlich gut abgefeiert. Verständlich, dass auf dem noch reichlich unerfahrenen Bolton damals ein ungeheurer Druck lastete. „Ja, in gewisser Weise schon. Andererseits habe ich mir darüber nicht großartig den Kopf zerbrochen und das analysiert oder so, ich machte einfach meinen Job und hab das gut hingekriegt. Bevor ich nach London zog und bei ATOMIC ROOSTER einstieg, ging ich in meiner Freizeit oft aus, um mir viele große Bands anzuschauen. Wir waren damals oft in der Universität in Manchester. Ich studierte dort nicht, aber wir guckten uns auf der immens großen Bühne viele Gruppen an. Und eine der Formationen, die ich dort zwei Jahre bevor ich nach London ging sah, waren The Crazy World Of Arthur Brown. Ich war absolut fasziniert von diesem Auftritt. Und als damals 17-Jähriger dachte ich nie im Traum daran, dass ich in zwei, drei Jahren zusammen mit Vincent Crane auf einer Bühne stehen und Musik machen würde. Das war eine total unrealistische Vorstellung, absolut verrückt! Ich liebte Vincent total, ein sehr cooler Typ! Als ich damals zu ATOMIC ROOSTER stieß, befand sich die Band gerade im Umbruch: Vincent wollte, dass sich alles etwas funkiger anhören sollte. Ursprünglich war ich ja eigentlich eher Rhythmusgitarrist und das kam dieser neuen Richtung, die die Gruppe einschlagen wollte, ziemlich zugute, wenngleich ich natürlich auch einige Lead-Parts mit einbaute. Zusammen mit Ric Parnells Schlagzeugspiel harmonierte das ausgezeichnet, was sich auch in den Liveshows entsprechend äußerte.”

Das vierte Album „Made In England“ ist das einzige Studiowerk von ATOMIC ROOSTER, auf dem Steves Gitarrenspiel zu hören ist. „Dann gab es allerdings noch “BBC Radio 1 Live In Concert”, das man sich heutzutage auch übers Internet reinziehen kann, denn da findet man ja ohnehin so ziemlich alles. Auch diese Live-Scheibe, die in Zentral-London aufgezeichnet wurde, ist dort zu hören. Der damalige Sänger war Chris Farlowe. Das sind komplett Live-Aufnahmen. Zieht euch das mal rein, speziell den Song 'All In Satan's Name', der ist auch auf YouTube zu finden! Das Stück wurde damals live für die BBC aufgenommen und ist schlichtweg fantastisch! Ich kann mich allerdings gar nicht mehr so richtig an diese Sessions erinnern. Ich weiß noch wo das stattfand, aber das ist jetzt schon so lange her, dass ich mich darüber hinaus an nichts mehr erinnern kann. Ich finde es etwas seltsam, das heutzutage noch mal zu hören. Als Pete French die Band verließ brauchten wir wieder einen Sänger. Ric Parnell und ich schlugen Frontmänner vor, von denen wir dachten, dass sie für den Job geeignet wären. Aber Vincent Crane meinte, dass er Chris Farlowe eine Chance geben wolle. Ric und ich standen jedoch nicht wirklich hinter dieser Idee. Jetzt bin ich allerdings schon wieder ziemlich weit abgeschweift, weswegen ich dir, Christian, jetzt wieder das Wort erteile, hehe!”

Bier, LSD und magische Musik

In puncto Songwriting behielt in erster Linie Vincent Crane bei ATOMIC ROOSTER die Zügel in der Hand. Trotzdem konnte Steve die beiden eigens geschriebenen Stücke 'Never To Lose' und 'Space Cowboy' auf „Made In England“ verewigen. „Ich glaube allerdings nicht, dass ich dafür jemals Geld sah, haha! Wenn ich mir die Platte jetzt so anschaue, so fällt mir natürlich zunächst das Cover-Artwork auf. Vincent hatte die Idee für den Titel “Made In England”, weil ATOMIC ROOSTER verzweifelt und vergeblich versuchten, einen Fuß in den US-Markt zu bekommen. Die Albumhülle bestand aus unterschiedlichem Jeansmaterial in den Farben Blau, Schwarz usw. Als wir das an unser Label nach Amerika schickten, meinten sie, dass sie das so nicht herausbringen würden und verpackten das Ganze dann in eine bescheidene, unmöglich ausschauende Hülle. Aber so ist das nun mal in diesem Business, so etwas passiert halt!”

Damals war Steve noch nicht wirklich bewusst, dass ATOMIC ROOSTER einen ganz besonderen Sound ablieferten. Man stand etwas abseits der gängigen Szene, gingen die Jungs um Vincent Crane doch weitaus düsterer und härter als das Gros ähnlich gearteter Formationen zu Werke. „In meinem Privatleben, also in meinem Leben außerhalb von ATOMIC ROOSTER, teilte ich mir damals mit unserem Schlagzeuger Ric Parnell ein großes Apartment. Diese Wohnung übte auf andere Musiker irgendwie eine ziemlich große Anziehungskraft aus. Viele Leute kamen einfach bei uns vorbei, feierten Partys, tranken Bier, nahmen LSD usw. In dieser Zeit entdeckten wir aber auch unzählige unterschiedliche Arten von Musik. Das war ein wichtiger Teil von uns und dies äußerte sich letztendlich auch in der Band. Wir stießen damals auf Sachen wie die magische Gruppe von Captain Beefheart, standen total auf Sly And The Family Stone etc., eben all diese abgedrehten Sachen außerhalb von ATOMIC ROOSTER. Ich wollte also versuchen, ebenfalls etwas Experimentelleres zu machen. De facto dachte ich damals eigentlich nicht, dass sich ATOMIC ROOSTER allzu ungewöhnlich anhören würden. Aber jetzt mit der neuen Version dieser Band spielen wir all die alten Songs und ich liebe sie, die Riffs sind einfach fantastisch und sehr heavy! Es tut wirklich gut, jetzt nach einer gewissen Auszeit wieder mit dieser Musik anzufangen. Ich hatte damals nicht wirklich realisiert, wie speziell ATOMIC ROOSTER waren, dafür war ich noch zu jung. Ich war ehrgeizig und wollte mich in musikalischer Hinsicht einfach nur weiterentwickeln. Ohnehin war ich lediglich 18 Monate, also anderthalb Jahre, bei ATOMIC ROOSTER.“

1973 trennte sich Steve bereits wieder von Crane & Co. „Ich mochte Chris Farlowe nicht allzu sehr. Ich glaubte, dass er nicht zu 100% auf das stand was er da machte. Er tat das nur, weil er es tun musste, eigentlich war das überhaupt nicht wirklich seine Art Musik. Ich traf damals jemand anderen – Mann, das hört sich jetzt so an wie in einer Liebesbeziehung, aber in gewisser Weise war es das auch, haha! Also, bei einem Gig traf ich einen Typen namens Mark Ashton, der mal als Schlagzeuger und Sänger bei Rare Bird aktiv war. Wir plauderten etwas und er meinte, dass er gerade einen Plattenvertrag als Solosänger und Gitarrist an Land gezogen hatte. Er fragte mich, ob wir nicht gemeinsam eine Band gründen sollten? Ric Parnell wusste darüber Bescheid, denn er war damals einer meiner engsten Vertrauten, der schweigen konnte wie ein Grab. Aber dann fand das Vincent heraus und irgendwann war der Punkt erreicht, wo er mich fragte, ob ich ATOMIC ROOSTER nicht verlassen wollen würde? Eigentlich wäre dies nicht der Fall, meinte ich daraufhin, ich wollte eigentlich nur neue Musik entdecken. Als ich aus der Band ausstieg gab es jedoch keinerlei böses Blut zwischen Vincent und mir, wir kamen immer noch gut miteinander klar! Ich war halt gerade mal erst Anfang 20 und wollte mich weiterentwickeln und etwas anderes machen.”

Vincent Cranes Katzen

Einen stetigen Kontakt mit seinen Ex-Bandkollegen pflegte Steve direkt nach seinem Ausstieg indes nicht, allerdings lief man sich ab und an mal über den Weg. „Vier Jahre nach dem Split mit ATOMIC ROOSTER, das müsste so circa 1977 zur Hochzeit der Punk-Ära gewesen sein, trat ich in einem Club namens “Speak Easy”, in dem damals viele Musiker rumhingen, auf. Während ich dort spielte tippte mich jemand auf die Schulter, ich drehte mich um und da stand dann auf einmal dieser dürre Hering Vincent Crane und fragte mich in seiner unverkennbaren Art, wie es mir denn gehe? Wir haben an diesem Abend noch viel gelacht... Ich mochte Vincent wirklich sehr, er war ein ziemlich geradliniger Kerl. Er hatte damals eine weiße sowie einige andere Katzen. Ich erinnere mich noch, dass ich ihn mal zuhause besuchen wollte. Damals hatte ich eine deutsche Freundin. Vincent hatte mich zum Abendessen eingeladen und ich fragte ihn, ob ich Monika mitbringen könnte. Und Vincent antwortete: ‚Nein, denn wir mögen nicht die Art, wie sie unsere Katzen anfasst.‘ Ich war danach ohnehin nicht mehr allzu lange mit diesem Mädchen zusammen, haha! Im Laufe der Jahre liefen wir Ex-Mitglieder von ATOMIC ROOSTER uns immer wieder mal über den Weg. Ich war aber sehr bestürzt, als ich von Vincents Tod hörte. Jean, Vincents Witwe, gab uns ihren Segen was die bereits angesprochene neue Version von ATOMIC ROOSTER betrifft. Als Pete French und mir angeboten wurde, diese Band 2016 zu reanimieren, meinte ich, dass die erste Sache, die geklärt werden sollte sei, dass wir das Okay von Vincents Witwe erhalten. Also kontaktierten wir sie, und sie meinte, dass das absolut großartig wäre. Es sei eine hervorragende Idee, Vincents Musik wieder unters Volk zu bringen.”

Bis dato hat es jedoch noch nicht so viele Auftritte der reanimierten Version von ATOMIC ROOSTER gegeben wie das Steve & Co. gerne gehabt hätten. „Letztes Jahr spielten wir ein paarmal live. Wir hatten einen Keyboarder namens Christian Madden mit dabei, der wirklich großartig und fantastisch war! Darüber hinaus haben wir einen fantastischen Schlagzeuger namens Bo Walsh und einen Bassisten namens Shug Millidge. Wir spielten ein paar Shows, konnten jedoch nicht so viele Konzerte wahrnehmen wie wir das gerne getan hätten, weswegen es eine längere Zeit gab wo wir nicht so sehr aktiv waren. Unser Organist Christian schloss sich mittlerweile allerdings der Band von Liam Gallagher an. Aber über meine derzeitigen Mitmusiker bei ATOMIC ROOSTER kam als Ersatz Adrian in die Band, mit dem wir Ende letzten Jahres drei Gigs gespielt haben. Er ist jetzt fest in der Gruppe und sieht sogar so aus wie Vincent Crane! Er hat lange Haare und macht genau solche durchgeknallten Bewegungen wie Vincent das immer tat während er spielte. Er ist fantastisch, ein ziemlich junger Kerl und eigentlich eher Gitarrist, der allerdings auch Keyboard spielen kann. Er wirbelt mit seinem Haar zur Musik herum, dass es eine wahre Pracht ist und wirkt wie eine Reinkarnation von Vincent Crane, haha! Im Januar spielen wir wieder einige Konzerte und hoffentlich in diesem Jahr dann auch mal ein paar Festivals, das wäre nett!”

Indes wäre es großartig, ATOMIC ROOSTER ebenso in Deutschland livehaftig erleben zu können! „Absolut, denn ATOMIC ROOSTER waren damals wirklich groß bei euch und wir spielten damals viele Konzerte in Deutschland!” Bei der Frage, ob es jemals wieder neue Songs geben wird fällt Steve dem Schreiberling umgehend ins Wort. „Oh ja! Wir haben schon mal darüber geredet, ein neues Album mit brandneuem Material zu machen. Denn diese Band ist so großartig und auch die Leute haben gesehen, dass wir wirklich verdammt laut und fantastisch sind, haha! Wir haben viele Songs mit harten Beats im Gepäck, aber auch ruhigere und friedlichere Stücke. Ich denke, dass wir definitiv die Arbeiten an einem neuen Album mal angreifen werden. Damit meine ich nicht alte Klassikersongs, sondern brandneue Stücke, das wäre fantastisch! Und Pete French ist immer noch gut bei Stimme, er hat ein hervorragendes Organ! Auf unserer Website kann man sich über alle gegenwärtigen Entwicklungen im Bandlager informieren.”

Ein sehr komischer Tag

Drehen wir das Rad der Zeit noch mal etwas zurück: Nach Steves Ausstieg bei ATOMIC ROOSTER ließ dieser seiner Inspiration freien Lauf, was in unzähligen Projekten und Bands mündete. Nach HEADSTONE und der JOE O'DONNELL BAND in den 70ern sowie einer fruchtbaren Kollaboration mit Paul Young war Steve in den 80ern auch auf „Ashes And Diamonds“, dem Solo-Debütalbum des aus Neuseeland stammenden Sängers Zaine Griff zu hören. Aufgrund dessen kam gar eine Studiosession mit dem großen David Bowie zustande. „Das passierte folgendermaßen: 1979 nahm ich diese Platte mit Zaine auf. Produziert wurde die Scheibe von Tony Visconti. Hans Zimmer, der in der Folgezeit Unmengen an Filmmusik für Hollywood-Streifen komponierte, spielte damals in dieser Band Keyboard. Visconti kam eines Tages zu uns und meinte, dass er den Tag darauf das Studio brauchen würde und dass wir dann nicht dort aufnehmen könnten. Es stellte sich heraus, dass er mit David Bowie etwas für ein TV-Programm produzieren würde. Ich wurde kurzerhand als Session-Gitarrist rekrutiert, was ich ursprünglich jedoch nie machen wollte. Ich wollte nie Session-Musiker sein! Ich meine, ich habe in den 80ern mit Paul Young gespielt und später schloss ich mich dann THE WHO an, was eine ziemlich eigenartige Erfahrung war, aber egal... Die Geschichte mit David Bowie war lediglich eine ziemlich kurze Angelegenheit. Ich spielte ein paar Songs mit ihm. Einer davon war 'Space Oddity', wo nur David und ich im Raum saßen, das war schon eine ziemlich interessante Erfahrung. Denn was sagt man zu diesen Leuten, wenn man mal in einer solch intimen Situation miteinander zu tun hat? ‚Ach, und du bist also David Bowie?‘ - ‚Ja, das ist richtig...‘ - Das ist schon eine ziemlich seltsame Situation, haha!” Mit dieser Session endete allerdings sogleich die Zusammenarbeit mit dem Meister, Live-Shows oder Ähnliches fanden zusammen mit Bowie nicht statt. „Nein, aber ich hätte es geliebt, mit ihm mal aufzutreten!”

Knüpfen wir gleich an Steves Zeit mit THE WHO an, die dieser eben gerade selbst erwähnte. 1989 schloss sich der Gitarrist dieser legendären, immens einflussreichen Formation um den genialen Sechssaitenhexer Pete Townshend an. Bolton trat im Rahmen der Live-Tour „The Kids Are Alright“ in Erscheinung. Dabei bestand zwischen Steve und den Musikern von THE WHO vorher eigentlich rein gar kein Kontakt. „Ja, das war die Tour zum 20-jährigen Jubiläum von THE WHOs Rockoper “Tommy” und zum 25-jährigen Bestehen der Band. Nein, ich kannte Pete Townshend vorher nicht. Ich erzähl mal, wie's dazu kam, das war nämlich an einem sehr komischen Tag: Ich befand mich in meinem Haus im Südosten Londons. Ich hatte damals eine Frau sowie einen einjährigen Sohn und etwa ein Jahr lang keinen richtigen Job mehr gehabt, meine Frau traf sich mit einem anderen und mein ganzes Leben war also ziemlich beschissen! Auf einmal klingelte das Telefon (das war mein Haustelefon, wie das damals halt so war). Ich nahm den Hörer ab und auf einmal erklang diese Stimme: ‚Boltz?‘ Ich antwortete: ‚Ja?‘ ‚Hier ist Pete Townshend.‘ Ich meinte nur: ‚Ja, alles klar, wie auch immer...‘ ‚Nein, nein, leg nicht auf, hier spricht Pete Townshend!‘ ‚Ja, ja, genau...‘ ‚Hör mal bitte, ich möchte dir eine Frage stellen: Möchtest du für THE WHO auf unserer demnächst anstehenden Tour Leadgitarre spielen?‘ Ich fiel aus allen Wolken und antwortete mit einer Gegenfrage: ‚Bist du nicht der Leadgitarrist von THE WHO?‘ ‚Ja, aber ich habe gerade ein Problem mit meinem Gehör und will dich als Leadgitarristen haben. Es gibt auf der ganzen Welt nur zwei Leute, denen ich diesen Job anbieten würde. Der eine ist Joe Walsh von den Eagles und der andere bist du!‘ Schnell wie ein Blitz antwortete ich: ‚Nein, Joe Walsh kannst du nicht meinen, er ist Amerikaner, und ein Amerikaner bei THE WHO geht ja wohl gar nicht, hehe!‘ ‚Da hast du definitiv recht! Also komm einfach mal zu einer Audition vorbei!‘ Ich ging dorthin und spielte mit ihnen zusammen in einem Studio. Pete meinte, dass er mich schon oft live gesehen hätte, als ich damals noch in der Band von Paul Young spielte und ich selbst hatte das gar nicht gewusst. Das war eine ziemlich harte Aufgabe für mich, denn ich musste an die 120 Songs lernen! Ich bin ein großer Fan von THE WHO und hatte die Band oft live gesehen, aber mein Wissen über diese Gruppe endete mit der 1971er Scheibe “Who's Next”. Es gab also noch so einige Alben, die ich überhaupt rein gar nicht kannte. Und das war noch zu einer Zeit wo es noch kein Internet gab, de facto waren auch CDs bis dato noch nicht mal so sehr verbreitet. Ich erhielt also per Post Kisten randvoll mit Kassetten, die ich mir anhören und herauskriegen musste, was darauf denn genau gespielt wurde. Im Vorfeld zur Tour probten wir dann sechs Wochen lang durch. Das war komplett übergeschnappt! Dann flogen wir nach Amerika, um noch zwei weitere Wochen lang zu proben. Bei der ersten Show war ich dann schon ziemlich aufgeregt: Schließlich fand die gleich in einem riesigen Stadion vor hunderttausenden von Fans statt! Als es dann losging und ich auf der Bühne stand, realisierte ich, dass da neben mir wirklich Sänger Roger Daltrey, Pete Townshend und Bassist John Entwistle standen. Und vor mir blickten mich hunderttausend Leute an: Ich guckte rüber zu John und meinte ‚Scheiße, das ist mal was ganz was anderes!‘ - Es war einfach fantastisch! Pete Townshend war durch seine gesundheitlichen Probleme ziemlich angeschlagen und musste damals irgendwie sein Selbstvertrauen wiederfinden. Ich glaube, dass ich ihm irgendwie helfen konnte, dies wiederzuerlangen. Und dann machte er einfach so weiter als sei nichts geschehen. Aber so ist Pete nun mal. Vor fünf Jahren freute ich mich sehr, als er mir Videos mitsamt Geburtstagswünschen übermittelte. Dann habe ich mir THE WHO mal wieder live angekuckt, denn mein Kumpel Pino Paladino, der mit mir bereits damals bei der PAUL YOUNG BAND dabei war, spielt bei ihnen mittlerweile Bass. Vor vier Jahren schaute ich sie mir zusammen mit meiner Frau im “Wembley”-Stadion an. Ich denke, das war eine sehr gute Show!”

Vier Stunden Vollbedienung

Natürlich waren die Erwartungshaltungen an Steve im Rahmen der THE WHO – Tour immens. Unmittelbar danach endete diese Kooperation allerdings wieder, ohne dass es Bolton vergönnt war, mit der Band ein Studioalbum einzuspielen oder ähnliches. „Richtig, das ist etwas seltsam. Aber es gibt von der “The Kids Are Alright”-Tour eine Live-Doppel-CD und ein Video. Für mich war die gesamte Situation ziemlich schwierig. Es lastete ein ziemlicher Druck auf mir. Denn man muss sich mal vorstellen, da kommt so ein junger Kerl daher und spielt bei den großen THE WHO sämtliche Leadgitarren-Parts. Ich befand mich im Kreuzfeuer sämtlicher Kritiker, das war schon beängstigend! Aber andererseits war diese Situation auch recht lustig. Und ich hab einfach nur mein Ding durchgezogen. Das war es, was auch Pete wollte, denn ich sollte ich selbst sein und nicht versuchen, ihn zu kopieren. Selbst wenn ich diesbezüglich vielleicht etwas voreingenommen bin, aber ich denke, dass das damals eine richtig gute Band war. Wir haben auf der Tour zwar ziemlich viel Geld verdient, aber man muss sich auch vor Augen halten, dass wir wirklich was zu bieten hatten. Denn wir spielten jeden Abend viereinhalb Stunden lang! So etwas macht man nicht, wenn man nur der Kohle wegen Musik macht. Dann würde man sich eher lediglich anderthalb Stunden auf die Bühne stellen. Es war jedoch wirklich gut, jeden Abend eine vierstündige Show zu spielen! Ich bin stolz auf die Arbeit, die ich mit THE WHO abgeliefert hab!”

Wie erwähnt war besagte Tour ungemein erfolgreich. Ein Höhepunkt dürfte dabei indes mit Sicherheit jene Show gewesen sein, die man damals in Los Angeles spielte und wo die gesamte legendäre Rockoper „Tommy“ live am Stück mit Stargästen wie Elton John, Billy Idol, Steve Winwood und Phil Collins zum Besten gegeben wurde. „Das war ganz schön hart für uns. Wie ich bereits sagte, spielten wir jeden Abend vier Stunden lang. Im Vorfeld eigneten wir uns sämtliche Songs von “Tommy” an, spielten dieses Album allerdings nie komplett. Wir machten das jedoch im Rahmen der US-Tour zweimal: Einmal in New York als Band und ein andermal in Los Angeles mit all den von Dir erwähnten unterschiedlichsten Gästen. Pete Townshends Musik ist nicht die Art von Musik, zu der man mal eben etwas jammt. Man muss sich wirklich hinsetzen und jeden einzelnen Abschnitt lernen, denn dieser Sound ist sehr musikalisch und kompliziert. Aber wenngleich das ziemlich harte Arbeit für mich bedeutete, genoss ich das Ganze doch sehr! Ich könnte Dir Geschichten erzählen – nicht jetzt, nicht hier, aber irgendwann einmal, wenn ich nach Deutschland komme, haha...!”

Herzinfarkt nach „Hearts Of Fire“

Abgesehen von Künstlern wie ATOMIC ROOSTER, THE WHO, David Bowie, Zaine Griff, Paul Young, Keith Richards, Hubert Sumlin, Anoushka Shankar, Richard Strange, Mark Ashton, Ray Davies oder Rick Wright hatte Steve auch die Chance, mit David Gilmour von Pink Floyd zusammenzuarbeiten. „Ich spielte damals bereits so etwa drei Jahre lang in der PAUL YOUNG BAND und stand bereits kurz davor, dort auszusteigen. In der Zeit kam auch dann irgendwie der Kontakt zu David Gilmour zustande und er mochte damals mein Gitarrenspiel. Zudem konnten wir uns gegenseitig ziemlich gut leiden. Wir spielten zusammen auf einem Song von Paul Young und auf einem des Keyboarders von Pink Floyd. Die Aufnahmen für letztgenanntes Stück fanden in Daves Studio statt.”

Neben diversen Live-Videos von THE WHO war Steve Bolton auch in „Hearts Of Fire“, einem Film von und mit Bob Dylan aus dem Jahr 1987 zu sehen. „Ich glaube nicht, dass viele Leute diesen Streifen überhaupt kennen. Vielleicht gibt's da ja was im Internet? Ich weiß es nicht, kann sein, dass ja noch ein paar dieser Szenen von mir an der Seite von Bob Dylan sowie Rupert Everett existieren. Ich meine, ich liebe Bob Dylan. Aber zur damaligen Zeit, als dieser Streifen gedreht wurde, machte er gerade eine verdammt seltsame Phase durch. Denn er redete mit niemandem. Da gibt's eine ungemein lustige Geschichte: Wir filmten gerade eine Szene in einem Proberaum und Bob sprach einfach zu niemandem. Richard Marquand, der Regisseur des Films, starb direkt nach Fertigstellung des Streifens, weil die Arbeit daran dazu führte, dass er einen Herzinfarkt erlitt! Und Marquand hatte in der Vergangenheit sogar “Die Rückkehr der Jedi-Ritter” verfilmt, er wusste also, was Stress bedeutete. Aber Bob war während der Dreharbeiten zu “Hearts Of Fire” einfach nur komisch drauf. Es gibt zur Produktion des Films übrigens eine Making-Of-Dokumentation. Darin sieht man, wie ein Journalist versucht, Bob Dylan zu interviewen. Er hatte Kontakt zu Bobs Agenten und reiste um die halbe Welt, um ihn zu treffen. Letzten Endes erhielt er das Okay von seiner Agentur, seinem Management. Sie meinten zu ihm, dass Bob ihn jetzt in seinem Wohnwagen treffen möchte. Das sieht man alles in dem Film. Also geht der Kerl hin zu Bobs Wohnwagen. Er ist ziemlich nervös, klopft an die Tür. Und Bob öffnet die Tür und sagt einfach nichts. Der Journalist folgt Bob daraufhin in den Wohnwagen, sie sitzen beisammen und Ersterer stellt Dylan Fragen, genauso wie auch du mir gerade Fragen stellst. Und Bob guckt ihn immer nur an, während er auf einem großen Blatt Papier Cartoons von ihm zeichnet. Aber sagen tut Dylan rein gar nichts – das war der Bob Dylan von damals, von dem ich weiter oben gesprochen habe. Man bekommt den Eindruck, er hätte komplett seinen Verstand verloren! Aber danach machte er seine “Me And Bob Dylan”-Radioshow, die ziemlich erfolgreich war. Bob hatte seinen Verstand definitiv nicht verloren oder so, er hatte nur beschlossen, dass er nicht mehr mit Leuten redet. Nach diesem Film arbeitete ich an einigen Werbesendungen mit, die ziemlich lächerlich waren. Da gibt's eine ziemlich lustige Reklamesendung, an der ich mitwirkte. Momentan spiele ich diverse Sologigs, wo ich hauptsächlich Covers zocke, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Daneben gibt's aber noch meine eigene Band namens DEAD MAN´S CORNER, bezüglich der ich ziemlich aufgeregt bin, um ehrlich zu sein! Darüber hinaus muss ich allerdings auch noch Leaf Hound erwähnen, die Band von Pete French.” Letztere waren mit ihrem 1971er Album “Growers Of Mushroom” ungemein einflussreich, hatte sich die Gruppe doch schweren, blues-getränkten Heavy Rock auf die Fahnen gescchrieben, den auch diverse Stoner-Bands in der Vergangenheit bereits als Einfluss ins Feld führten.

Ein Abend mit Steve

Werfen wir nunmehr einen Blick auf die aktuellen musikalischen Aktivitäten des Herrn Bolton. Dabei wäre zuallererst mal die Herkunft des Namens seiner neuen Band DEAD MAN´S CORNER zu klären. „Ich lebe in Kent, genauer gesagt in einem Ort namens Whitstable. Dort gibt's einen sehr alten Hafen, in dem unter anderem viele Segelboote vor Anker liegen. Und in einer Ecke dieses Hafens findet sich eine Ecke, die hier im Volksmund “Dead Man's Corner” genannt wird. Und ich dachte mir, dass dies doch ein cooler Name für eine Band wäre! Aber der Grund, wieso dieser Ort so genannt wird ist Folgender: Vor 100, 150 Jahren fuhren auf der Themse sogenannte Gefängnisschiffe. Und die Lebensbedingungen auf diesen Schiffen waren so hart, dass viele der Insassen einfach über Bord sprangen und ertranken. Sie wurden dann in der genannten “Dead Man's Corner” im Hafen von Whitstable angeschwemmt. Man musste aus dieser Ecke also ständig Leichname herausfischen, weswegen sie schnell den besagten Namen “Dead Man's Corner” verpasst bekam. Ich denke, das ist eine treffende Bezeichnung, hehe! Mit dieser Band spielen wir durchweg eigene Stücke. Ich hatte einen Pedal-Steel-Gitarristen in der Band, mit dem ich allerlei komische Musik spielte. Die wäre wohl so irgendwie zwischen Americana und Psychedelic einzuordnen gewesen. Diese Songs fanden damals ihren Weg auf unsere erste EP. Aber der Gitarrist ist mittlerweile nicht mehr in der Band, dieser Tage sind wir nur noch ein Trio. Wir haben vier neue Songs geschrieben und aufgenommen. Herausgebracht haben wir noch nicht so viel. Wir haben immer darauf gehofft, mal was auf Vinyl veröffentlichen zu können, aber das ist mittlerweile einfach zu teuer. Offiziell werden die Songs wohl kommenden Februar erscheinen.”

Bereits im Verlauf dieses Interviews erwähnte Steve sein „An Evening With“-Programm, in Rahmen dessen er in kleinen Clubs sowie Cabarets auftritt und Geschichten aus seiner bewegten Vergangenheit im Musikgeschäft zum Besten gibt. „Tja, das war eine ziemlich nervenaufreibende Angelegenheit. Eines Tages sagte ich zu meiner Frau, die sich gerade im Zimmer nebenan befindet und mit der ich nun seit zwei Jahren verheiratet bin, dass ich so etwas in der Art mal machen wollen würde. Denn viele Leute meinten zu mir, dass ich so viele fantastische Geschichten über Leute auf Lager hätte, mit denen ich schon mal zusammengespielt habe. Das seien alles fantastische, kleine Storys, einige davon sehr persönlicher Natur, was manchmal eben so dabei herauskommt, wenn man mit Menschen zusammenarbeitet. Und die Leute schlugen mir vor, doch mal ein Buch zu schreiben. Aber das will ich nicht wirklich, denn das dauert einfach zu lange und mal angefangen werde ich damit wohl nie aufhören und das zu Ende führen können. Dann hatte ich diese Idee zu dem Konzept von “An Evening With”. Mit der Hilfe eines Freundes sammelten wir alle Sachen, die wir im Internet finden konnten (Bilder und Videos) und speicherten sie auf einem Computer. Und meine Frau meinte damals zu mir, dass sie mich heiraten würde, wenn ich das tun sollte. Also machte ich das, hehe! Die allererste Show fand vor etwa vier Jahren statt. Dafür mietete ich hier in Whitstable eine Art Gemeindesaal, in dem sich auch eine Bühne usw. befand. Das sah in etwa aus wie ein Cabaret-Club mit Tischen, auf denen Kerzen standen usw. Wir boten Tickets im Vorverkauf an und es kamen einige Leute. Ein ziemlich bekannter Comedian kündigte meinen Auftritt an. Nachdem er das getan hatte und ich da raus ging war ich total aufgeregt. Ich wollte, dass sich jetzt gleich irgendwo ein großes Loch auftut und mich verschluckt. Dann kam ich jedoch irgendwie rein, gab all diese Geschichten zum Besten und mein Eindruck war, dass die Leute das mochten, denn sie hörten Storys von berühmten Persönlichkeiten. Allerdings erzähle ich keine respektlosen Sachen, ich künde nur von kleinen, lustigen Begebenheiten. Die halte ich dann auch auf Videoclips fest. Ich hab das jetzt schon seit einigen Monaten nicht mehr gemacht, ich sollte das jetzt mal wieder aufgreifen. Dabei geht es nicht darum, möglichst viel Kohle zu machen, damit lässt sich nicht viel Geld verdienen. Es ist nur etwas von nahezu therapeutischer Natur. Würde ich das nicht machen würde ich stattdessen wohl auf der Couch eines Psychiaters sitzen, haha! Das ist einfach nur eine Sache, die auch mir persönlich gut tut. Heutzutage gibt es in diesem Business wohl überhaupt keine Sessionmusiker mehr, dieses Phänomen existiert einfach gar nicht mehr! Die gesamte Industrie hat sich verändert. Die Leute benötigen gar keine anderen Musiker mehr, die auf ihren Alben spielen, sie machen einfach alles selbst im Studio und mit Hilfe des Internets! Alles hat sich verändert. Ich habe realisiert, dass man sich diesen neuen Gegebenheiten anpassen muss, weswegen ich jetzt auch Solo-Gigs spiele. Das ist eine gute Art und Weise, etwas Geld zu verdienen und ich hab auch keine Band, die mein Auto zerstört oder so. Ich spiele jede Woche so an die zwei, drei Sologigs in Südengland. Und die Leute lieben das! Manche meinen allerdings, dass es doch ziemlich komisch anmuten mag, wenn man vorher auf Riesenbühnen gespielt hat und jetzt nur noch kleine Clubs beackert, aber ich genieße das, das ist hervorragend! Aber ich habe immer noch Lust darauf, elektrische Gitarre zu spielen. Akustisch zu zocken ist gut, aber ich mag es lieber, die Elektrische auszupacken, das ist wirklich großartig...!”

Das kann Steve ja dann heutzutage bei ATOMIC ROOSTER zur Genüge. „Ja ja, dort sind wir so richtig laut, denn wir haben jetzt ja auch richtig große Marshall-Amps am Start, hehe!”

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