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Da ist es komplett egal, dass „Fuck The System“, der letzte Studio-Longplayer der Schotten, bereits vor satten 14 Jahren veröffentlicht worden ist! – Zeitlose Musik kommt eben immer gut und wenn die (Noch-)Briten eben „etwas“ länger benötigen, um eine neue Platte zu schreiben, dann ist das halt so: Besser so als wenn man jedes Jahr ein halbgares 08/15-Produkt in den Händen hält! Der Popularität der „Punk-Opas“ tut dies keinen Abbruch: Gut, als „Opas“ sind wohl nur die beiden Buchan-Brüder Wattie und Wullie zu bezeichnen, Gitarrist Matt McGuire und Bassist Irish Bob sind noch nicht so betagt und sprühen vor Spielfreude sowie Energie nur so über. Doch dazu später mehr...

Der Abend beginnt zunächst einmal mit den Groove-Thrash-Metallern CODE RED ORGANISATION, die wenig spektakuläre Musik offerieren. Letzten Endes bieten die Jungs eine engagierte Show, die handwerklich durchaus in Ordnung geht. Allein der Funke will beim doch sehr punkig angehauchten Publikum nicht wirklich überspringen: Im Deutschunterricht würde man das als klassische Themaverfehlung bewerten! Gut, genrefremde Tour-Packages können manches Mal durchaus ansprechend und interessant sein, allerdings haben CODE RED ORGANISATION nicht wirklich die Klasse, aus der grauen Masse an ähnlich gearteten Formationen irgendwie hervorzustechen. Die Jungs zeigen sich sehr von Sepultura der „Chaos A.D.“-Phase beeinflusst, aber einen eigenen Ansatz vermögen die Freiburger nicht wirklich zu etablieren. Dementsprechend verhalten dann auch die Publikumsreaktionen.

Dies ändert sich dann schlagartig, als THE CASUALTIES auf die Bühne stürmen: Die New Yorker zocken derben Streetpunk par excellence, der immer wieder mit wunderbar eingängigen Hooklines dafür sorgt, dass auch ja keine Langeweile aufkommt. Musikalisch ist das natürlich eher grobe Hausmannskost, dennoch schwappt, wie auch später beim Headliner, eine regelrechte Flutwelle an Energie von Richtung Bühne aus über den Club, die sich unweigerlich auf die Fans überträgt - und von denen finden sich nicht wenige in der proppenvollen Halle wieder, die insbesondere auf THE CASUALTIES gewartet zu haben scheinen! Die Amis beginnen das Set mit 'On The Frontline' und hören mit der Hymne 'We Are All We Have' auf: Dazwischen gibt’s gepflegten Punk-Wahnsinn mit Fußball-Chören, Bierduschen und schlechten Witzen. Gitarrist Jake Kolatis gibt zwei Kalauer zum Besten – selten so gelacht, gähn… Da kommt das Statement von Ur-Sänger Jorge Herrera schon etwas lustiger rüber, dass er als mexikanischstämmiger US-Amerikaner nunmehr hier in Deutschland Asyl beantragen und in der bayerischen Landeshauptstadt fortan als Quasi-Flüchtling leben möchte… Wie dem auch sei: Das Publikum feiert THE CASUALTIES jedenfalls ab als gäbe es kein Morgen mehr. Auch das Motörhead-Cover 'R.A.M.O.N.E.S.' wird saucool rübergebracht – beide Daumen nach oben!

Die anwesenden Fans sorgen nicht nur während der Umbaupausen dafür, dass dieser Abend für das Backstage in Sachen Bierumsatz wohl zu den Erfolgreichsten des Jahres gehört, was kein Wunder ist, ist doch eine kalte Schale Gerstensaft eine perfekte Einstimmung für den wilden Moshpit bei Wattie & Co.: Der Schreiberling hatte THE EXPLOITED das letzte Mal anno 2000 beim With Full Force Festival erleben können. Damals machte der legendäre Fronter der Schotten noch einen ziemlich fitten Eindruck, heutzutage ist sein Bauchumfang um ein Vielfaches angewachsen und die Agilität auf der Bühne hat auch vehement nachgelassen. Wattie begnügt sich heutzutage damit, seine simplen Parolen rauszuschreien und das Mikrofon in unregelmäßigen Abständen gegen seinen Schädel zu schlagen. Gut, der Herr zählt mittlerweile stolze 60 Lenze, da kann man nicht mehr wie ein blutjunger Hüpfer über die Bühne jagen! Dafür haben THE EXPLOITED die beiden oben genannten Herren Davidson und Irish Bob in ihren Reihen, die für ziemlichen Tumult sorgen. Insbesondere der Letztgenannte ist ein wahrer Aktivposten.

Gleich von Beginn an lässt es das Quartett gepflegt krachen: Nach dem Opener 'Let’s Start A War“ folgen mit 'Fightback', 'Dogs Of War' und „UK 82“ gleich drei Klassiker von anno dazumal. Dem folgt ein über einstündiger Streifzug durch die Punkgeschichte: 'Troops Of Tomorrow', 'Punks Not Dead', 'I Believe In Anarchy', 'Was It Me' oder 'Beat The Bastards' werden in gnadenloser, enorm druckvoller Manier gezockt. Der letzte offizielle Studio-Longplayer “Fuck The System” wird dabei auffallend oft zitiert, zockt man davon doch die Brecher 'Fucking Liar', 'Holiday In The Sun', 'Never Sell Out' und 'Chaos Is My Life'. Dass Wattie heutzutage nicht immer mehr vollkommen auf der Höhe des Geschehens ist, wird insbesondere beim Titeltrack der 2003er Scheibe offenbar, müssen die Schotten 'Fuck The System' doch dreimal von vorne beginnen, damit der Frontmann mal den richtigen Einsatz findet. Bei 'Fuck The USA' brechen alle Dämme und es wird Pogo getanzt als gebe es kein Morgen mehr: Dabei geht alles trotzdem ziemlich friedlich vonstatten – „good, friendly, violent fun“ eben!

Die vom Publikum im Laufe des gesamten Auftritts lautstark geäußerte Forderung nach 'Sex & Violence' wird zunächst mit dem verschmitzten Verweis darauf, dass die EXPLOITED-Jungs mittlerweile der „Political Correctness“-Fraktion angehören, von Schlagzeuger Wullie Buchan rüde abgeschmettert. Doch kurz darauf macht dieser die Bühne frei für die Fans, von denen es sich eine große Schar nicht nehmen lässt, dort die besagte Ode an Kopulation und Gewalt darzubieten. Das Ganze ist lustig mit anzusehen, trotz der Tatsache, dass sich so mancher Selbstdarsteller mit einem eher schwachen Stimmchen selbst disqualifiziert: Gut, vielleicht war da das eine oder andere Bierchen mit im Spiel…

Interessant wird es dann allerdings erst wieder, als die Schotten mit Wattie als alleinigen Shouter ein paar letzte Songs als Zugabe zocken. Die Unsitte der ständig präsenten Handy-in-die-Höhe-Strecker hat indes auch die Punkszene erreicht: Man fragt sich nur, was die Gründerväter respektive solche altgedienten Bands wie THE EXPLOITED darüber wohl denken? – Telefone mit Kamerafunktion eines US-amerikanischen, weltweit operierenden Großkonzerns bei einem Punk-Konzert sind ein Paradoxon an sich – oder sollten es zumindest sein… Derartige Gebaren haben mit Rock N' Roll und mit Punk schon rein gar nichts zu tun! Aber wie dem auch sei: Einen gelungenen Abend bereiteten die involvierten Bands trotzdem! Und, liebe EXPLOITED: Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht, um eine neue Scheibe vorzubereiten – und wenn es, im schlimmsten Fall, nie mehr etwas Neues von euch geben sollte, beehrt uns weiterhin mit einem derart brachialen Klassikerset wie an diesem Aprilabend in München! – Punk's not dead!!!