Im Mittelpunkt von WILD MEN steht ein Mann in der Midlife-Crisis, der das wahre Leben in der Wildnis sucht und dabei, in Felle gehüllt, auf allerhand schillernde Gestalten trifft. Der Festival-Hit funktioniert sowohl als zum Schreien komische Buddy-Komödie als auch perfekt in die heutige Zeit passender Selbstfindungs-Film.
Martin, der Schreckliche
Ein Wikinger steht in der Tankstelle und will um Kippen feilschen – eine herrlich absurde Ausgangssituation. Doch Regisseur Thomas Danesko macht aus dieser Grundidee keinen Selbstzweck, sondern erspinnt daraus eine erstklassige Tragikomödie über Männlichkeit, die mit wunderbarem Humor und herrlich skurrilen Charaktere auftrumpft.
Seit seinem 2015 veröffentlichten Spielfilmdebüt "Eliten" zählt Thomas Daneskov in seiner Heimat Dänemark zu den großen Hoffnungen des skandinavischen Kinos – und das mit gerade mal 33 Jahren. Für sein neuestes Projekt WILD MEN hat er sich im doppelten Sinne in unwegsames Terrain begeben – physisch in die dichten, unwegsamen Wälder Norwegens und filmisch ins Genre der Aussteigerkomödien. Doch genau wie seine Figuren nicht auf den ausgetretenen Wanderpfaden unterwegs sind, schlägt auch seine Geschichte immer wieder völlig neue Wege ein.
Als er wieder zu sich kommt, steht plötzlich ein Wikinger (Rasmus Bjerg, "398 Tage – Gefangener des IS") vor ihm. Musa ist jedoch nicht etwa durch die Zeit gereist. Der Wikinger heißt Martin und ist eigentlich ein Büroangestellter. Die Midlife-Crisis ist dem Mittvierziger allerdings nicht gut bekommen. In den letzten Jahren begann er zunehmend, an seinem Leben zu zweifeln und sich nach der Zeit zu sehnen, als Männer noch Männer waren. Und eines Tages fasste er einen verzweifelten Entschluss: Er verließ seine Frau Anne (Sofie Gråbøl, "The Undoing") und seine Töchter, um sich fortan in die norwegischen Wälder zurückzuziehen und so zu leben wie seine Vorfahren. Dieser Entschluss ist nun zehn Tage her, und langsam muss Martin erfahren, dass die neue Freiheit auch gewisse Nachteile mit sich bringt, wie Hunger oder den Mangel an Zigaretten. Um den Appetit und die Nikotinsucht zu stillen, raubt er kurzerhand eine nahe gelegene Tankstelle aus, was in Wikingerbekleidung nicht unbedingt unauffällig ist. Musas Autounfall und Martins Tankstellenüberfall rufen natürlich die Polizei auf den Plan, und so beschließt das ungleiche Duo zu flüchten. Doch nicht nur die Polizei ist ihnen auf den Fersen, denn Musas Komplizen haben den Unfall ebenfalls überlebt ...
Der Film von Thomas Daneskov beeindruckt von Anfang an durch seine wunderbare Optik. Von den Kostümen über den Farblook bis zu der wunderbar in Szene gesetzten norwegischen Berglandschaft ist WILD MEN ein visueller Hochgenuss. Doch die wesentliche Stärke von Daneskovs Werk liegt nicht in den Bildern, sondern im erstklassigen Drehbuch. Hierbei muss insbesondere erwähnt werden, dass Daneskov das Kunststück gelingt, seinen Film trotz der absurden Ausgangslage glaubwürdig zu inszenieren und nie den Fehler zu machen, sein Werk in Albernheiten oder übertriebener Emotionalität zu ersticken.
Stattdessen liefert er eine schwarzhumorige Komödie über Männlichkeitsideale ab, vordringlich natürlich über den titelgebenden wilden Mann Martin. In seinem Aussehen und seinen Aussagen propagiert dieser sein Verständnis von Männlichkeit, doch in seinen Taten zeigt sich zunehmend, dass er sich nur selbst etwas vormacht und sein Auftreten nichts als bloße Kostümierung ist. Martin ist allerdings nicht der Einzige, der vorgibt, etwas zu sein, was er nicht ist. Daneskov und sein Drehbuchautor Morten Pape präsentieren hier neben Martin noch zahlreiche andere, auf den ersten Blick weniger deutlich erkennbare Kostümierungen von Männlichkeit, die sie nach und nach demaskieren – von Musa, der anfangs vorgibt, ein knallharter Gangster zu sein, bis zum Dorfpolizisten, der sich nicht in Gefahr begeben will, weil er noch seine Kinder von Kindergarten abholen muss, wird hier tatsächlich nahezu jedes Bild von der knallharten Männlichkeit entzaubert.
Dass das so gut funktioniert, liegt selbstverständlich auch an den hervorragenden Schauspielern. Hauptdarsteller Rasmus Bjerg, spielt den Jedermann im lächerlichen Tierfellkostüm, der sich nicht von seinem iPhone trennen kann, schlicht superb und sorgt für brillant funktionierende Momente, ohne die Daneskovs Film wesentlich an Klasse verlieren würde. Doch nicht nur Bjerg ist großartig besetzt, auch der restliche Cast macht seine Sache wirklich wunderbar. Neben Zaki Youssef glänzt hier besonders Bjørn Sundquist als Polizeichef im Rentenalter, der einen Wikingerüberfall in der Tankstelle mit der gleichen stoischen Ruhe erträgt wie die soziale sowie berufliche Inkompetenz seiner Untergebenen.
Alles in allem gelingt Regisseur Thomas Daneskov mit WILD MEN ein mehr als sehenswerter Film, der nicht nur zum Lachen anregt, sondern auch dazu, über (eigene?) Männlichkeitsideale nachzudenken. Freunde intelligenter Komödien sollten hier definitiv einen Blick riskieren.
FLORIAN TRITSCH
Titel: WILD MEN
Land/Jahr: Dänemark 2021
Label: Koch Films
Laufzeit: ca. 104 Min.
FSK: ab 16
Verkaufsstart: veröffentlicht